Diese Kurzgeschichte habe ich für den Deutschunterricht geschrieben. Das war definitiv das Highlight meiner drei Jahre Deutschunterricht am Gymnasium. Denn anstatt die Werke anderer zu interpretieren, bin ich lieber selbst kreativ und verfasse meine eigenen.
Der Inhalt kann für manche angreifend wirken, das ist aber nicht meine Intention. Natürlich möchte ich irgendwo provozieren und auf Dinge aufmerksam machen, die mir selbst in unserer Gesellschaft missfallen. Doch letztendlich muss sich jeder selbst sein Urteil bilden. Es handelt sich um meine persönliche Sicht und vielleicht findet sich der eine oder andere darin wieder.
Sei du selbst
Viel zu oft sah sie in diesen Spiegel. Viel zu oft
beurteilte sie mit kritischem Blick ihren Körper. Alles an ihr war grauenhaft.
Ihr Gewicht sollte weniger sein.
Ihr Bauch sollte flacher sein.
Ihre Taille sollte schmaler sein.
Ihre Brüste sollten größer sein.
Ihre Beine sollten länger sein.
Ihr Gesicht sollte schöner sein.
Ihre Augen sollten wacher sein.
Ihre Nase sollte schmaler sein.
Ihr Mund sollte voller sein.
Ihre Zähne sollten weißer sein.
Ihre Haut sollte reiner sein.
Ihr Haar sollte glänzender sein.
Ihr Image sollte cooler sein.
Am liebsten wollte sie so sein, wie die Mädchen in den
Zeitschriften oder im Internet. Ihre Vorbilder. Die Mädchen, die all die
anderen an ihrer Schule imitierten. Sie
wollte auch so sein. So cool, so beliebt, so schön. Doch sie fiel niemandem
auf, war wie ein Geist, der täglich durch die Schule wanderte und nur von den
Lehrern bemerkt wurde.
Alles an sich fand sie eigenartig und hatte Angst, anderen
könnte das nicht gefallen. Sie hatte immer Bedenken, etwas Falsches zu sagen.
All die Wörter, die ihren Kopf umkreisten, blieben ungesagt. Sie verweilte
immer eher im Hintergrund. Doch alles, was sie wollte, war: gesehen zu werden.
Ihre Gedanken drehten sich allein darum, wie sie auf andere wirken könnte, wie
sie aussah und wie sie mehr wie ihre Vorbilder sein könnte. Sich selbst hatte
sie dabei völlig verloren. War nur noch eine billige Kopie dieser Schönheiten,
denen sie niemals völlig ähneln würde. Und dadurch im Grunde nur hässlich.
Eigentlich mochte sie total gerne bunte Kleider. Doch leider
waren diese scheinbar nicht im Trend, denn sie waren in keiner Modezeitschrift
oder einem Modeblog zu sehen und deswegen trugen die beliebten Mädchen an ihrer Schule sie nicht. Aus diesem Grund
zwängte sie sich täglich in viel zu enge Hosen und viel kurze Röcke, in denen
sie sich unwohl fühlte. Aber sie musste sich anpassen, mit dem Strom
mitschwimmen, machen, was ihre Vorbilder ihr vormachten.
Ihr Gesicht schminkte sie jeden Tag sehr stark. Denn so
machten es die anderen Mädchen auch. Außerdem sah sie natürlich ganz anders aus
als ihre Vorbilder, sodass sie diese Makel unter all dem Make-Up verstecken
musste. Wie eine Maske trug sie Schicht für Schicht auf und verwandelte sich in
einen ganz neuem Menschen. Eine schönere Version wie es ihr erschien. Doch
nicht wie sie selbst.
Sie konnte, nein durfte nicht alles Essen, wonach ihr war.
Gegessen wurde nur, was zuvor schon einmal eine Person gepostet hatte. Und
natürlich nur kohlenhydratfrei. Denn sie konnte es sich nicht erlauben, dick zu
werden. Das wäre nur ein weiterer Unterschied gewesen, den es zu vermeiden
galt. Es war egal, ob ihr dieser Fraß schmeckte oder gut für sie war. Wenn
andere ständig so etwas posteten, konnte es ja nicht allzu schlimm sein. Sie
achtete darauf in den Schulpausen lediglich nur ein hippes Getränk wie
Smoothies oder einen Kaffee zu sich zu nehmen. Alles andere war nie auf einem
der Internetaccounts zu sehen. Das Knurren ihres Magens bemerkte sie nicht
mehr, zu sehr war sie auf ihr Auftreten konzentriert.
Dabei merke sie gar nicht, wie
unglücklich sie wurde und wie sehr sie sich selbst verlor. In diesem Wahn.
Dieser Sucht.
All die Mühen lohnten sich nicht. Sie fühlte sich nicht
schöner. Sie wurde nicht beliebter. Sie wurde nicht plötzlich von allen bemerkt.
Sie fühlte sich schrecklich leer. Denn all ihre Mühen waren
völlig umsonst. Sie war ein Niemand.
Bis sie eines Tages beschloss, damit aufzuhören. Stattdessen
entschied sie sich dazu, sie selbst zu sein. Sie hat Tage, Wochen, Monate,
sogar Jahre damit verschwendet, in ein Puzzle zu passen, zu dem sie nicht
gehörte. Egal in welche Richtung sie ihre Ecken und Kanten gedreht hatte, es
hat nie in das Bild gepasst. Das Bild, das ihr die Modezeitschriften, das
Internet und all die „beliebten“ Schüler vorgegeben hatten. Denn ein Mädchen
fängt nicht einfach so an, ihren Körper zu hassen, ihr bringt sie dazu. Ihr,
die ständig alle Ideale des Internets preist. Ihr, die vorgebt, wie eine Frau
auszusehen hat, um schön zu erscheinen. Ihr, die viel zu viel verlangt und
dafür sorgt, dass Mädchen krank vor Sorge werden. Die Sorge nicht gut genug zu
sein, nicht glücklich sein zu können. Ihr, die nie einem Mädchen verratet, dass
sie nicht so sein müssen, wie die Ideale der Gesellschaft. Ihr, die einfach
zuseht.
Sie hatte keine Angst mehr davor, den anderen seltsam
vorzukommen, hörte auf sich selbst und die anderen um sich herum zu belügen.
Ihr war es egal, was andere über sie dachten. Vor denen hatte sie keine Angst
mehr und sagte frei raus, was sie dachte, schluckte ihre Worte nicht mehr
einfach nur runter. Und die anderen begangen, ihr zuzuhören.
Sie musste ihre bunten Kleider nicht mehr verstecken,
sondern trug sie mit Stolz und dabei war es ihr egal, ob das gerade im Trend
lag oder nicht. Trends konnte sie auch für sich selbst setzen. Und die anderen
fingen an, es ihr nachzumachen.
Morgens verbrachte sie nicht mehr Stunden damit, sich zu
schminken und ihre Haare zu machen. Außer ihr war danach und sie fühlte sich
wohl. Selbstbewusst zeigte sie ihr von Natur aus schönes Gesicht. Und die
anderen bemerken sie.
Sie konnte alles essen, was sie wollte, musste keine Angst
haben, dick zu werden. Sie erkannte, dass ihr Körper zwar nicht perfekt war,
aber schön und die paar Pfunde sie nicht hässlich machen konnten. Die Schönheit
anderer Mädchen bedeutete nicht die Abwesenheit ihrer eigenen. Und die anderen
sagten ihr, wie schön sie sei.
Und plötzlich begann sie, sich selbst zu heilen, langsam
doch sicher. All die giftigen Gedanken verließen schließlich ihren Kopf, ihr
Herz und ihren ganzen Körper.
Ihr Lachen wurde echt, klang eine Melodie und ließ andere
mit einstimmen. Sie begann ihr Leben nach ihren eigenen Regeln zu leben. Tanzte
durch die Straßen, zu der Musik, die sie gerne hörte, so laut wie sie wollte.
Alle sollten es ruhig sehen und hören. Sie strahlte positive Energie aus und
hatte auf einmal Spaß am Leben.
Mit dieser Erkenntnis verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln und verließ ihr Gesicht nie wieder.