Alles, was du bist, darf blühen

Am ersten Tag meines letzten Vorbereitungsseminars starteten wir gleich mit einem Impuls. In der Mitte verteilt lag das „Chill-mal-Dein-Leben-Kartenset“ und jeder von uns hatte einen kurzen Augenblick Zeit, sich eine Karte zu nehmen. Zu dieser sollten wir dann in die Runde berichten, warum wir diese Karte gewählt haben und wie sie zu unserer derzeitigen Stimmung passte. Schon ganz am Anfang gefiel mir eine Karte ganz besonders. Doch ich war auch neugierig darauf, was auf den anderen Karten so stand, sodass ich noch weiter geschaut habe. Allerdings ging mir diese eine Karte nicht mehr aus dem Kopf und so habe ich bei der Hälfte kehrt gemacht und mir die Karte geschnappt.

„Alles, was du bist, darf blühen.“

Es musste diese eine Karte sein. Sie hatte meine Aufmerksamkeit erregt, nur wusste ich nicht genau weswegen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie zu mir passte. Ich meine, ich liebe Blumen und die Natur und hab von meinem Blumenkranz beim Abiball gesprochen und wie ich, verglichen mit einer Blume, immer Zeit brauche, bis ich in irgendetwas oder in irgendeiner Gesellschaft aufblühe. Doch so ganz traf das auch noch nicht zu.

An den letzten Tagen des Seminars traf ich ein weiteres Mal auf diesen Spruch. Jeder von uns hatte einen Namen gezogen und sollte für diese Person eine Kerze gestalten, die dann bei der Vesper (sprich dem Abendgottesdienst) überreicht werden sollte. Auf der Kerze, die ich am Abend bekam, stand wieder dieser eine Spruch, mein Spruch.

„Alles, was du bist, darf blühen.“

Vor dem Sendungsgottesdienst am nächsten Tag tauschten wir alle aus der Gruppe gegenseitig für uns geschriebenen Kärtchen aus. Als ich dann am darauf folgenden Tag alle meine Karten las, war auf der Karte der Person, die mir auch die Kerze verziert hatte, wieder dieser eine Spruch geschrieben und dazu die Erklärung. Ich glaube da erst begriff ich, was mich an diesem Spruch so sehr berührt hatte. (Also falls diese eine Person das jetzt lesen sollte: vielen Dank für diesen kleinen Denkanstoß)

„Alles, was du bist, darf blühen.“

Ich als Mensch neige dazu meine Talente hervorzuheben, denn ich fühle mich dabei wohl, etwas zu präsentieren, von dem ich weiß, es gut zu können. Ich kann aufblühen, zeige aber lieber meine schönen Seiten. Doch in diesem Satz geht es darum, dass ALLES von mir blühen darf. ALLES umfasst nicht nur das, was eh schon blüht. Sondern eben auch die Dinge, die ich gerade nicht so an mir mag, die aber trotzdem ein Teil von mir sind.

Wie ich das schaffen soll? So ganz genau weiß ich das auch noch nicht. Dazu gehören sehr viel Selbstliebe und die Akzeptanz meiner eigenen Schwächen, die ich ein Stück weit schon erlernt habe, aber noch nicht beherrsche. Ich muss mich und meine Schwächen besser kennenlernen und eben auch lieben lernen. Auf jeden Fall muss ich aufhören, mich krampfhaft mit anderen vergleichen zu wollen und sie zu imitieren. Denn es geht um mich und was an mir blühen kann.

Was ich mir davon erhoffe? Ich merke, wie anstrengend es ist, ständig meine Schwächen zu verheimlichen, sie ausgleichen oder loswerden zu wollen. Stattdessen will ich zu ihnen stehen können, sie belächeln können und sie eben blühen lassen.

Was mich an dieser Karte die ganze Zeit so fasziniert hat, war meine unausgesprochene Sehnsucht. Ich will nicht mehr nur zur Hälfte blühen, sondern ganz. Denn ALLES, was ich bin, darf blühen.

Und wie ist es bei dir? Willst du weiterhin deine Schwächen verstecken? Ich weiß, dass du welche hast. Das haben wir alle. Aber auch alles, was du bist, darf blühen.

Übers Zuhören

„ Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt, und er ebenso schnell ersetzt werden kann wie ein kaputter Topf – und er ging hin und erzählte das alles der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründlich irrte, dass es ihn, genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war.“

Michael Ende – Momo

„Wirklich zuhören können nur recht wenige Menschen.“ (Michael Ende) Doch richtiges Zuhören ist für mich zu einer Haltung geworden. Wenn man nur zuhört, fallen einem viel mehr Dinge bei den Gesprächen auf. Man bemerkt die Emotionen, die sich beim Reden in dem Gesicht des Sprechers abzeichnen wie das Zucken im Mundwinkel, die Spuren auf der Stirn, man achtet auf das Stocken und die Regung in der Stimme, wenn das Thema die Person gerade sehr berührt. Durch Aufmerksamkeit und Anteilnahme vermitteln wir unserem Gegenüber das Gefühl, nicht unbedeutend zu sein. Es gibt ihm ein Selbstwertgefühl und damit Kraft. Dabei geht es nicht darum, alles zu verstehen oder auf alles eine Antwort geben zu können. Sondern einfach da zu sein und zuzuhören.

Es bedeutet nicht automatisch, dass man den Gesagtem zustimmt, aber ich finde, erst wenn man wirklich alles gehört hat, was der andere zu sagen hat, ist man im Recht darüber zu urteilen.

Auch für die zwischenmenschliche Beziehung ist das Zuhören enorm wichtig. Denn wenn wir nicht darauf achten, was der andere uns vermitteln will, können wir auch nicht darauf eingehen. Im schlimmsten Fall kann es zu Missverständnissen kommen, die sich zu Problemen entwickeln.

Oft sind wir von Vorurteilen geprägt und wir können nur durchs richtige Zuhören erfahren, ob sie der Wahrheit entsprechen.

Deswegen ist mir dieser entwicklungspolitische Freiwilligendienst so wichtig. Die Vorstellung etwas bewegen zu können ist utopisch. Ich möchte Menschen in anderen Ländern zuhören und die Dinge vor Ort sehen, damit mich meine Überheblichkeit nicht vorher urteilen lässt.

Und manchmal ist mit etwas Erreichen auch schon gemeint, dass die Unscheinbaren erhört werden, damit sie auch einmal das Gefühl bekommen, einen Wert zu haben.

Kurzgeschichte

Diese Kurzgeschichte habe ich für den Deutschunterricht geschrieben. Das war definitiv das Highlight meiner drei Jahre Deutschunterricht am Gymnasium. Denn anstatt die Werke anderer zu interpretieren, bin ich lieber selbst kreativ und verfasse meine eigenen.

Der Inhalt kann für manche angreifend wirken, das ist aber nicht meine Intention. Natürlich möchte ich irgendwo provozieren und auf Dinge aufmerksam machen, die mir selbst in unserer Gesellschaft missfallen. Doch letztendlich muss sich jeder selbst sein Urteil bilden. Es handelt sich um meine persönliche Sicht und vielleicht findet sich der eine oder andere darin wieder.

Sei du selbst

Viel zu oft sah sie in diesen Spiegel. Viel zu oft beurteilte sie mit kritischem Blick ihren Körper. Alles an ihr war grauenhaft.

Ihr Gewicht sollte weniger sein.

Ihr Bauch sollte flacher sein.

Ihre Taille sollte schmaler sein.

Ihre Brüste sollten größer sein.

Ihre Beine sollten länger sein.

Ihr Gesicht sollte schöner sein.

Ihre Augen sollten wacher sein.

Ihre Nase sollte schmaler sein.

Ihr Mund sollte voller sein.

Ihre Zähne sollten weißer sein.

Ihre Haut sollte reiner sein.

Ihr Haar sollte glänzender sein.

Ihr Image sollte cooler sein.

Am liebsten wollte sie so sein, wie die Mädchen in den Zeitschriften oder im Internet. Ihre Vorbilder. Die Mädchen, die all die anderen an  ihrer Schule imitierten. Sie wollte auch so sein. So cool, so beliebt, so schön. Doch sie fiel niemandem auf, war wie ein Geist, der täglich durch die Schule wanderte und nur von den Lehrern bemerkt wurde.

Alles an sich fand sie eigenartig und hatte Angst, anderen könnte das nicht gefallen. Sie hatte immer Bedenken, etwas Falsches zu sagen. All die Wörter, die ihren Kopf umkreisten, blieben ungesagt. Sie verweilte immer eher im Hintergrund. Doch alles, was sie wollte, war: gesehen zu werden. Ihre Gedanken drehten sich allein darum, wie sie auf andere wirken könnte, wie sie aussah und wie sie mehr wie ihre Vorbilder sein könnte. Sich selbst hatte sie dabei völlig verloren. War nur noch eine billige Kopie dieser Schönheiten, denen sie niemals völlig ähneln würde. Und dadurch im Grunde nur hässlich.

Eigentlich mochte sie total gerne bunte Kleider. Doch leider waren diese scheinbar nicht im Trend, denn sie waren in keiner Modezeitschrift oder einem Modeblog zu sehen und deswegen trugen die beliebten Mädchen  an ihrer Schule sie nicht. Aus diesem Grund zwängte sie sich täglich in viel zu enge Hosen und viel kurze Röcke, in denen sie sich unwohl fühlte. Aber sie musste sich anpassen, mit dem Strom mitschwimmen, machen, was ihre Vorbilder ihr vormachten.

Ihr Gesicht schminkte sie jeden Tag sehr stark. Denn so machten es die anderen Mädchen auch. Außerdem sah sie natürlich ganz anders aus als ihre Vorbilder, sodass sie diese Makel unter all dem Make-Up verstecken musste. Wie eine Maske trug sie Schicht für Schicht auf und verwandelte sich in einen ganz neuem Menschen. Eine schönere Version wie es ihr erschien. Doch nicht wie sie selbst.

Sie konnte, nein durfte nicht alles Essen, wonach ihr war. Gegessen wurde nur, was zuvor schon einmal eine Person gepostet hatte. Und natürlich nur kohlenhydratfrei. Denn sie konnte es sich nicht erlauben, dick zu werden. Das wäre nur ein weiterer Unterschied gewesen, den es zu vermeiden galt. Es war egal, ob ihr dieser Fraß schmeckte oder gut für sie war. Wenn andere ständig so etwas posteten, konnte es ja nicht allzu schlimm sein. Sie achtete darauf in den Schulpausen lediglich nur ein hippes Getränk wie Smoothies oder einen Kaffee zu sich zu nehmen. Alles andere war nie auf einem der Internetaccounts zu sehen. Das Knurren ihres Magens bemerkte sie nicht mehr, zu sehr war sie auf ihr Auftreten konzentriert.

Dabei merke sie gar nicht, wie unglücklich sie wurde und wie sehr sie sich selbst verlor. In diesem Wahn. Dieser Sucht.

All die Mühen lohnten sich nicht. Sie fühlte sich nicht schöner. Sie wurde nicht beliebter. Sie wurde nicht plötzlich von allen bemerkt.

Sie fühlte sich schrecklich leer. Denn all ihre Mühen waren völlig umsonst. Sie war ein Niemand.

Bis sie eines Tages beschloss, damit aufzuhören. Stattdessen entschied sie sich dazu, sie selbst zu sein. Sie hat Tage, Wochen, Monate, sogar Jahre damit verschwendet, in ein Puzzle zu passen, zu dem sie nicht gehörte. Egal in welche Richtung sie ihre Ecken und Kanten gedreht hatte, es hat nie in das Bild gepasst. Das Bild, das ihr die Modezeitschriften, das Internet und all die „beliebten“ Schüler vorgegeben hatten. Denn ein Mädchen fängt nicht einfach so an, ihren Körper zu hassen, ihr bringt sie dazu. Ihr, die ständig alle Ideale des Internets preist. Ihr, die vorgebt, wie eine Frau auszusehen hat, um schön zu erscheinen. Ihr, die viel zu viel verlangt und dafür sorgt, dass Mädchen krank vor Sorge werden. Die Sorge nicht gut genug zu sein, nicht glücklich sein zu können. Ihr, die nie einem Mädchen verratet, dass sie nicht so sein müssen, wie die Ideale der Gesellschaft. Ihr, die einfach zuseht.

Sie hatte keine Angst mehr davor, den anderen seltsam vorzukommen, hörte auf sich selbst und die anderen um sich herum zu belügen. Ihr war es egal, was andere über sie dachten. Vor denen hatte sie keine Angst mehr und sagte frei raus, was sie dachte, schluckte ihre Worte nicht mehr einfach nur runter. Und die anderen begangen, ihr zuzuhören. 

Sie musste ihre bunten Kleider nicht mehr verstecken, sondern trug sie mit Stolz und dabei war es ihr egal, ob das gerade im Trend lag oder nicht. Trends konnte sie auch für sich selbst setzen. Und die anderen fingen an, es ihr nachzumachen.

Morgens verbrachte sie nicht mehr Stunden damit, sich zu schminken und ihre Haare zu machen. Außer ihr war danach und sie fühlte sich wohl. Selbstbewusst zeigte sie ihr von Natur aus schönes Gesicht. Und die anderen bemerken sie.

Sie konnte alles essen, was sie wollte, musste keine Angst haben, dick zu werden. Sie erkannte, dass ihr Körper zwar nicht perfekt war, aber schön und die paar Pfunde sie nicht hässlich machen konnten. Die Schönheit anderer Mädchen bedeutete nicht die Abwesenheit ihrer eigenen. Und die anderen sagten ihr, wie schön sie sei.

Und plötzlich begann sie, sich selbst zu heilen, langsam doch sicher. All die giftigen Gedanken verließen schließlich ihren Kopf, ihr Herz und ihren ganzen Körper.

Ihr Lachen wurde echt, klang eine Melodie und ließ andere mit einstimmen. Sie begann ihr Leben nach ihren eigenen Regeln zu leben. Tanzte durch die Straßen, zu der Musik, die sie gerne hörte, so laut wie sie wollte. Alle sollten es ruhig sehen und hören. Sie strahlte positive Energie aus und hatte auf einmal Spaß am Leben.

Mit dieser Erkenntnis verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln und verließ ihr Gesicht nie wieder.